Über die Banalität des Bösen

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von Sara Otter

50 Jahre nach dem Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961 kommt man an einem Namen in der Philosophie der Nachkriegszeit nur schwer vorbei: Hannah Arendt- politisch engagierte Theoretikerin, nichtzionistische Jüdin, Geliebte Martin Heideggers, leidenschaftliche Publizistin, Philosophin, Moralistin und nicht zuletzt aktive Kämpferin. Hannah Arendt vereinte viele Gestalten in ihrer Person.

Auf der Suche nach einem neuen, besseren Adjektiv zur Beschreibung des motivlosen, gleichgültigen Bösen des Verwaltungsmassenmörders Adolf Eichmann im Holocaust entwickelte sie die Formel der „Banalität des Bösen“. Ein Titel, der unter den Intellektuellen wie Sprengstoff wirkte. Der auf Immanuel Kant zurückgehende Begriff des radikal Bösen musste neu besetzt werden, denn der unscheinbar wirkende Eichmann im schusssicheren Glaskasten in Jerusalem war kein typischer Massenmörder, kein „Ungeheuer“ mit dem das traditionell Böse bis dato identifiziert worden war. Für Arendt war das Denken in erster Linie ein Dialog mit sich selbst, durch den man mithilfe von Reflexion zum Nach-Denken gelangte. Die Motivlosigkeit Eichmanns, mit der er den Massenmord an tausenden Juden administrativ lenkte, beschreibt Arendt als „Unfähigkeit zu denken“. Gesteuert durch sein Pflichtbewusstsein und Karrieredenken schien es, als könne der größte Massenmörder des Jahrhunderts nicht über sich selbst reflektieren und es wirkte, als fehle es ihm an Urteilskraft, um zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Das Böse als Teil der Normalität im Alltag anzuerkennen, dass jederzeit zurückkehren kann, war das Resultat des fortschreitenden Denkprozesses von Hannah Arendt, der sie letztendlich auch zu diesem Begriffswechsel zwang.

Für noch mehr Furore sorgte allerdings Arendts Vorwurf an die jüdischen Räte, bei dem Holocaust mitgewirkt zu haben. „Es gab keine Möglichkeit des Widerstands, aber es gab die Möglichkeit, nichts zu tun“, formulierte Hannah Arendt und beschreibt damit die Lücke zwischen Kooperation und Widerstand.
Arendts kontroverse These macht ihr schnell die Welt zum Feind. Naiv, rücksichtslos und arrogant sei sie. Das Buch schlecht recherchiert.
Banalität als Moderne Form des Bösen, ja, aber Eichmann als Beispiel? Spielte er nicht nur eine geniale Rolle, um dem Tod zu entgehen? Braucht das Denken eine Ethik?

Unabhängig von den Fragen, auf die wir im Philosophieunterricht versuchten, Antworten zu finden, bleibt die Faszination für Hannah Arendts intellektuelle Scharfsinnigkeit, der Provokation zum Perspektivenwechsel und ihren Mut der unbequemen Wahrheit ins Gesicht zu schauen, bei mir zurück. Ich wünsche uns den Ansporn, die Lautstärke dieser Frau auf unser Zeitalter der Globalisierung zu übertragen und vielleicht ihr philosophisches Ziel „über das nachzudenken, was wir eigentlich tun“ auch in unserem Alltag zu verwirklichen.

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