Eine Freiwillige in Paraguay
für Nicole
Als Freiwillige in Paraguay – ein kleiner Erfahrungsbericht
Südamerika habe ich mir folgendermaßen vorgestellt: Der gesamte Kontinent tanzt Salsa oder Tango, isst köstliches Steak und die in Südamerika lebenden Menschen sind allzeit glücklich und zeigen ihre Lebensfreude nach außen hin. Dass ich mich mit meinem Klischee-Denken genauso irrte, wie all diejenigen, die Deutschland mit Weißwurst, Bier und Oktoberfest verbinden, musste ich gleich nach meiner Ankunft in Paraguay, in Colonia Independencia, erfahren. Independencia, der Ort, in dem ich an einer deutschen Schule ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviere, ist besonders stark von deutschen Einwanderern aus dem 20. Jahrhundert und deren Nachfahren geprägt, weshalb ich nicht – wie erwartet – auf Spanisch, sondern auf Deutsch begrüßt wurde, besser gesagt in diversen deutschen Dialekten, an die ich mich noch habe gewöhnen müssen. Jetzt, da ich mittlerweile schon vier Monate in Paraguay lebe, kann ich sagen, dass mich die ersten Wochen in Paraguay viel Kraft kosteten, um mich mit dieser ungewöhnlichen, neuen und völlig unerwarteten Situation auseinanderzusetzen. Colonia Independencia mit ihrem deutschen Sport- und deutschen Gesangsverein, und den Kindern in der Schule, die nicht José, Luis und Carlos, sondern Axel und Hildegard heißen, ist auch ein Stück Südamerika, obwohl es im ersten Moment nicht diesen Eindruck erweckt.
Da sich die deutschen Einwanderer eine deutsche Kultur auf paraguayischem Boden etabliert haben, habe ich mich hier vorwiegend mit dem Thema Integration und Identifikation am Beispiel der deutschen Einwanderer in Independencia auseinandergesetzt und mit den Eingewanderten und deren Nachfahren Interviews geführt, um die Hintergründe ihrer Einwanderung nach Paraguay und Details über ihre Identifikation mit Deutschland bzw. mit der deutschen Kultur (die in Paraguay zum Teil auch sehr klischeehaft weitergetragen wird) herauszufinden. Fernab der „deutschen Blase”, die sich in Independencia gebildet hat, befinden sich auch Ortsteile innerhalb der Siedlung, die vorwiegend von einheimischer (paraguayischer) Bevölkerung geprägt sind. Da es mir ein großes Anliegen ist, mich mit der „Realität” in Independencia auseinanderzusetzen, versuchte ich gleichberechtigt sowohl zu paraguayischen als auch zu deutschstämmigen Einwohnern Kontakte zu pflegen. Ich merkte dabei schnell, dass es sich bei einem „paraguayischem Leben” in Paraguay und einem „deutschen Leben” in Paraguay grundsätzlich um verschiedene Lebensmodelle handelt. An dieser Stelle möchte ich nur kurz auf die meiner Meinung nach stärksten Unterschiede zum Leben in Deutschland eingehen: Viele der paraguayischen weiblichen Freunde meiner Generation sind bereits verheiratet oder haben eigene Kinder. Die Verantwortung für eigene Familie wird viel früher abverlangt, als es in Deutschland üblich ist. Zwei Dinge gefallen mir am paraguayischen Leben besonders gut: Zum einen das Tererè-Trinken. Die Paraguayer trinken ihren Yerba-Mate-Tee eisgekühlt aus einem speziellen Trinkgefäß. Dabei trinken alle im Kreis Versammelten nur aus einem Gefäß, welches von Person zu Person weitergegeben wird. Ich finde, dass dies eine wirklich einfache und schöne Methode ist, um Integration zu fördern und schnell Bekanntschaften zu schließen.
Außerdem sind eine tiefe Verwurzelung in der Religion und der Glaube für viele Paraguayer maßgebend. Die Gottesdienste, die ich besuchen konnte, waren stets lebensbejahend und sehr liebevoll gestaltet. Es geschah nahezu jeden Sonntag, dass die gesamte Gemeinde mit „Herzensblut“ das Messe-Abschlusslied sang und man sich unzähliger Umarmungen sicher sein konnte. Gott ist allgegenwärtig: In paraguayischen Häusern gibt es immer eine Ecke, in der sich Bibel, Heiligenbilder und Kreuze befinden. Außerdem wird der Glaube richtig beworben: Viele Paraguayer tragen T-Shirts mit dem Aufdruck „Dios es mi amor“ („Gott ist meine Liebe“).
Im Allgemeinen sind die meisten Paraguayer sehr lebensfroh und sorgenfrei.
Ein Mann sagte mir, dass die Landwirtschaft, die von den Einwohnern Independencias betrieben wird, ein Dach über dem Kopf und das Essen völlig ausreichen, um zufrieden zu sein. Mein Leben in Paraguay ist definitiv anders, als mein bisheriges Leben in Deutschland und auch anders, als ich mir das Leben in Südamerika vorgestellt habe. Gelegentlich fällt der Strom für Stunden aus, es kommt nur kaltes Wasser aus der Dusche und nach einem korrekten Busfahrplan sucht man, zumindest bei regionalen Anbietern, vergebens. Mittlerweile habe ich mich aber intensiver mit den Menschen, die quasi vor meiner Haustür leben, auseinandergesetzt und kann nun viele Fragen, die ich mir bei der Ankunft in Paraguay und beim Erstkontakt mit den Einwohnern Independencias gestellt habe, beantworten, was nicht heißt, dass ich mit weniger Fragen im Gepäck nach Deutschland zurückkehren werde. Was ich bereits jetzt gelernt habe: Nichts ist so, wie es zunächst scheint, oder wie man es sich vorstellt. Es ist aber Gold wert, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, auch wenn dies manchmal sehr ernüchternd oder auch enttäuschend bezüglich der eigenen Vorstellungen ausfallen kann. Muchos saludos desde Paraguay!